Presseartikel aus der Basler Zeitung vom 5.12.20
Im sizilianischen Selinunte riecht es nach frischem Gras und Zitrone. Männer und Frauen tauchen grosse Stücke Weissbrot in Öl und kosten. Anerkennend wiegen sie den Kopf, sprechen von kräftigen Aromen, der gehaltvollen Tiefe, der zarten Bitternote.
Der Fachmann nickt. Und der Laie wundert sich – doch wird ihm klar: Das hier ist etwas anderes als die konforme Ware aus dem Supermarkt. Olivenöl aus Italien, Spanien und Tunesien wird in Sizilien getestet. Ein jedes der in Schnapsgläser gefüllten Schlückchen hat seinen speziellen Geschmack, seine eigene Note, unverkennbar.
Von der Bank zur Olive
Markus Messmer sowie seine jetzigen Partner Jacky Mercerat und Urs Buner haben sich bei der Arbeit in einer Basler Bank kennen gelernt. Im mittleren Alter haben sie entschieden, ihre gut gesicherten Stellen an den Nagel zu hängen und sich der unberechenbareren Olivenölproduktion zuzuwenden. Unberechenbar, weil das Naturprodukt nicht jede Saison gleich reagiert. Doch es gelingt dem Team jedes Jahr, mit der Olive Nocellara del Belice ein interessantes, grün-fruchtiges Öl mit pfeffrigem Abgang zu produzieren.
Beim Treffen in Selinunte ist auch Roland Zanotelli mit dabei, Unternehmer aus Basel, der sich ebenfalls dem Olivenöl verschrieben hat. Seine Haine mit insgesamt 5000 Bäumen stehen in Spanien, Fontclara. Doch er streckt seine Fühler in Sachen Oliven auch in Sizilien aus. Er produziert das Fontclara Arbequina, ein eher mildes Olivenöl, und das Fontclara Argudell für Liebhaber, ein kräftigeres Öl, das nach Artischocken und Baumnüssen duftet.
Ebenfalls mit in der Runde ist einer der wichtigsten Ölproduzenten der Region – oder besser gesagt, Ex-Produzenten: Gianfranco Becchina. In Basel hat der gebürtige Sizilianer vor Jahren Schlagzeilen gemacht – zuerst, weil er hier einen gut florierenden Antiquitäten- und Kunsthandel mit erlesenen Stücken und Kunden in der ganzen Welt führte.
Doch im Jahr 2006 stürmte die Basler Polizei auf Antrag der italienischen Kollegen sein Haus und beschlagnahmte sämtliche Unterlagen und über 6000 wertvolle antike Objekte. Die Italiener verdächtigten Becchina und seine Frau des Handels mit Raubkunst und Kontakten zur Mafia. Jetzt sitzt er auf seinem Landgut in Castelvetrano fest, hat dort lediglich Wohnrecht – sein Vermögen, seine Häuser, seine Güter sind beschlagnahmt. Die Früchte werden jetzt unter der Aufsicht der Behörden geerntet, und die Räume, einst für Gäste im Luxussegment hergerichtet, haben Spinnweben angesetzt.
Doch er ist zuversichtlich: «Ich habe nichts Illegales getan», sagt er. Im Januar wird das Gericht endgültig entscheiden. Dann weiss er, ob er sein Hab und Gut zurückbekommt. 81 Jahre alt ist er und wirkt allein ziemlich verloren in dem grossen Haus, das einst so stattlich daherkam und jetzt einen dunklen, verlassenen Eindruck macht. Die Früchte – riesige Zitronen, Grapefruits, Oliven so gross wie Kirschen, Avocados in sattem Grün – hängen an den Bäumen, und er und seine Freunde dürfen sie nicht pflücken. Alles eingefroren, seit drei Jahren.
So geht er häufig ins La Bettola nach Mazara del Vallo, wo sein Freund Pietro eines der besten Fischrestaurants weit und breit führt und immer ein Gedeck für ihn bereithat. Oder er zeigt Bekannten das Museum Fondazione Orestiadi in Gibellina, einem einstigen Hirtendorf, das im Jahr 1968 durch ein Erdbeben völlig verschüttet wurde. Heute ist es zwar neu aufgebaut, doch die Wunden sind noch lange nicht verheilt. Das Dorf wirkt seelenlos, trotz der Bemühungen zahlreicher Künstler, die dem Ort mit ihren Kunstwerken wieder Leben einhauchen wollten.
Kniffe für besondere Erlesenheit
Im Hotel in Selinunte sitzen die Olivenöl-Fachleute immer noch rund um den grossen Holztisch. Sie nippen, ziehen das Öl mehrmals lautstark durch die Zähne, lassen die Tropfen am Gaumen ruhen und verharren konzentriert, bevor sie sich ein Urteil bilden. Einig sind sie sich alle: Gutes Olivenöl stammt aus Früchten von unbewässerten Bäumen, und sie werden so früh wie möglich von Hand direkt von den Zweigen gepflückt. Das schmälert zwar den Ertrag, verleiht dem Öl jedoch seine Erlesenheit. Aus rund 100 Kilogramm Oliven lassen sich so etwa zwölf Liter Öl gewinnen. Und sofort nach der Lese eilen die Produzenten mit dem Ertrag in die Mühle und lassen die Früchte pressen.
Eher milde Olivensorten ergeben ein Öl von butterähnlichem Geschmack, andere ein fruchtiges mit pfeffrigem Abgang. Markus Messmer und seine Kollegen lassen ihr Agroro-Öl unfiltriert, was ihm nochmals eine besondere Note verleiht. «Das Nocellero ist fruchtig, die Schärfe folgt etwas später», sagt Maria Bitonti zu einem Öl mit besonders pfeffrigem Geschmack. Sie hat die Olivenölproduktion sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen; ihre Familie betreibt das Geschäft seit eh und je. Sie begleitet die Produktion von Roland Zanotelli in Spanien. Doch sämtliche Olivenölproduzenten am Degustationstisch sind sich einig: Billig geht nicht, die Geiz-ist-geil-Mentalität ist hier fehl am Platz. Fair und gut produziertes Olivenöl ist nicht unter 30 Franken die Flasche zu haben. In diesen Tagen kommt frisches Öl aus allen Produktionsgegenden in die Schweiz.